Schönheit fasziniert die Menschen seit Jahrtausenden. Wir alle können sagen, ob ein bestimmtes Gesicht schön ist oder nicht. Aber wir tun uns schwer, wenn wir unser Urteil begründen sollen.

In der vorliegenden Arbeit untersuchten wir, was Gesichter attraktiv macht und welche sozialen Konsequenzen Attraktivität nach sich zieht. Dazu überprüften wir in insgesamt sieben Teiluntersuchungen mit einer für die Gesamtbevölkerung repräsentativen Stichprobe von ca. 500 Versuchspersonen mehrere Hypothesen zur Attraktivität. Dies sind die Durchschnittshypothese (Langlois & Roggman, 1990: "durchschnittliche Gesichter sind am attraktivsten"), der Einfluss der Symmetrie (Thornhill & Gangestad, 1993: "Symmetrie macht attraktiv") und die Theorie der Merkmalsausprägungen (Cunningham, 1986: "Reifezeichen gepaart mit Merkmalen des Kindchenschemas machen attraktiv"). Darüber hinaus wurde untersucht, welchen Zusammenhang es zwischen Attraktivität und bestimmten Eigenschaftszuschreibungen gibt (Berscheid, 1972: "Was schön ist, ist auch gut").

Dazu fotografierten wir 64 Frauengesichter und 32 Männergesichter (im Alter zwischen 17 und 29 Jahren; davon acht Models) in standardisierter Weise. In einer Voruntersuchung wurden die Gesichter mit Hilfe eines eigens programmierten Präsentationsprogramms von Versuchspersonen bezüglich ihrer Attraktivität auf einer Skala von 1 (= sehr unattraktiv) bis 7 (= sehr attraktiv) beurteilt. Aufgrund dieser Ergebnisse wurden sie für das weitere Vorgehen in eine Rangreihenfolge gebracht.

Wir berechneten danach systematisch mit Hilfe eines Computerprogramms (Morphing) neue Gesichter, in denen unterschiedlich viele Originalgesichter zu immer gleichen Anteilen enthalten sind. Für die Berechnung eines neuen Gesichts setzten wir über 500 Referenzpunkte. Durch dieses äußerst aufwendige Vorgehen (für die ganze Arbeit wurden insgesamt über 75.000 Referenzpunkte gesetzt!) konnten Durchschnittsgesichter erzeugt werden, die "echten" Gesichtern täuschend ähnlich sehen, und in ihrer Qualität alle anderen Durchschnittsgesichter, die von anderen Autoren für bisherige Untersuchungen zu ähnlichen Fragestellungen verwendet wurden, bei weitem übertreffen. Daher sind unsere Ergebnisse wesentlich aussagekräftiger als die früherer Untersuchungen, da nur ein Vergleich von sehr realistisch aussehenden Computergesichtern mit Originalgesichtern überhaupt Sinn macht.

Analog zur Beurteilung der Originalgesichter wurde in einer zweiten Untersuchung die Attraktivität aller gemorphten Gesichter auf der gleichen Skala (s.o.) von Versuchspersonen eingeschätzt. Alle Originalgesichter und gemorphten Gesichter wurden darüber hinaus von Mitarbeitern einer Modelagentur daraufhin beurteilt, ob sie als Model für die Kategorie "Beauty" geeignet wären (dritte Untersuchung).

In einem vierten Experiment untersuchten wir den Einfluss der Symmetrie auf die Attraktivitätswahrnehmung von Gesichtern. Für die fünf unattraktivsten, fünf mittel attraktiven und fünf attraktivsten Gesichter jedes Geschlechts stellten wir mit Hilfe der Morphing-Software symmetrisch optimierte Versionen der Originalgesichter her. Dabei verwendeten wir ein eigenes Verfahren, durch das wir Gesichter erzeugen konnten, die völlig symmetrisch sind und dennoch absolut natürlich wirken. In einem Paarvergleichsexperiment wurde erhoben, inwieweit die symmetrisch optimierten Gesichter als attraktiver beurteilt werden als die Originalgesichter.

Für das fünfte Experiment näherten wir für jedes Geschlecht drei unattraktive und drei attraktive Gesichter in ihren Gesichtsproportionen zu 50% an die des Durchschnittsgesichts an. Die Gesichtsoberfläche (d.h. insbesondere die Haut) wurde dabei konstant gehalten und nur die Proportionen wurden durchschnittlicher gemacht. Sämtliche Versionen wurden von Versuchspersonen in einem Paarvergleichsexperiment mit dem Originalgesicht verglichen. Im Gegenzug stellten wir für jedes Geschlecht zwei Gesichterpaare her, die in ihren Gesichtsproportionen identisch waren. Durch Konstanthalten der Gesichtsproportionen konnten verschiedene Gesichtsoberflächen in Paarvergleichsexperimenten miteinander verglichen werden.

Als sechste Fragestellung untersuchten wir, inwieweit eine Annäherung der Gesichtsproportionen erwachsener Frauen an das Kindchenschema attraktivitätssteigernd wirkt. Dafür erstellten wir für sechs verschiedene Frauengesichter fünf Gesichtsvariationen, deren Gesichtsproportionen in 10%-Schritten (bis 50%) denen des Kindchenschemas angenähert wurden. Dabei verwendeten wir ein eigenes, verbessertes Verfahren, das die erwachsenen Frauengesichter nur in ihren Proportionen, nicht aber in der Gesichtsoberfläche (Haut) kindlicher macht. Aus den fünf Variationen zuzüglich dem Originalgesicht wählten die Befragten das für sie attraktivste Gesicht aus.

Um herauszufinden, welcher Zusammenhang zwischen Attraktivität und der Zuschreibung bestimmter Eigenschaften besteht, wurden 21 Gesichter aus den Kategorien "unattraktiv", "mittel attraktiv" und "attraktiv" von Versuchspersonen auf einer 7-stufigen Skala hinsichtlich zehn verschiedener Persönlichkeitseigenschaften eingeschätzt (siebte Untersuchung).

Die Ergebnisse sind interessant und teilweise auch unerwartet: Gemorphte Gesichter werden im Mittel attraktiver eingeschätzt als Originalgesichter (4,3 bzw. 3,5 auf der 7-stufigen Skala). Je mehr Originalgesichter in einem gemorphten Gesicht enthalten sind, desto attraktiver wird es beurteilt (r = .57** für Frauengesichter, r = .64** für Männergesichter). Dies stützt zwar einerseits tendenziell die Durchschnittshypothese von Langlois & Roggman (1990), andererseits gilt aber auch: Je attraktiver die in einem gemorphten Gesicht enthaltenen Originalgesichter sind, desto attraktiver wird auch das gemorphte Gesicht beurteilt (r = .75** für Frauengesichter, r = .68** für Männergesichter). Es kommt also nicht nur auf die Anzahl der in einem Gesicht vermorphten Originalgesichter an, sondern vor allem auch darauf, wie attraktiv die verwendeten Originalgesichter sind. Dies widerspricht der Durchschnittshypothese, wonach durchschnittliche Gesichter am attraktivsten sein müssten. Überraschend ist, dass vor allem Männergesichter durch das Vermorphen deutlich an Attraktivität gewinnen. Dies widerspricht älteren (von uns kritisierten) Untersuchungen, die einen attraktivitätssteigernden Effekt für Männergesichter nicht finden konnten. Mangelnde Qualität (Unschärfe) der erzeugten Mischgesichter könnte dafür der Grund gewesen sein.

Die Expertenbefragung in der Model-Agentur ergab, dass von den ausgewählten Gesichtern, die als Model für die Kategorie "Beauty" geeignet wären, 88% (14 von 16) gemorpht waren, also von einem Computer neu berechnet wurden und in der Realität nicht existieren.

Die Ergebnisse aus unserem Experiment zur Symmetrie zeigen, dass Symmetrie zwar ein Faktor ist, der Attraktivität beeinflusst, jedoch bei weitem nicht in dem Ausmaß, wie es häufig angenommen wird. Es gilt vielmehr: Gesichter, die sehr asymmetrisch sind, sind eher unattraktiv (--> Ergebnis bei den unattraktiven Männern), aber sehr unattraktive Gesichter sind deswegen noch lange nicht automatisch asymmetrisch (--> Ergebnis bei den unattraktiven Frauen). Umgekehrt gilt ebenso: Sehr symmetrische Gesichter sind noch lange nicht attraktiv und sehr attraktive Gesichter zeigen durchaus Abweichungen von der Symmetrie. Insgesamt scheint Symmetrie ein nur eher schwaches Kriterium für Attraktivität zu sein.

Durch die Experimente zur Schemaanpassung von Gesichtern konnte eindeutig gezeigt werden, dass nicht die Gesichtsproportionen, sondern die Oberflächen durchschnittliche Gesichter attraktiv machen. Die Durchschnittshypothese ist - angewendet auf Gesichtsproportionen - damit widerlegt!

Bei Frauengesichtern sind kindliche Merkmale wie große, rundliche Augen, eine große gewölbte Stirn, sowie kleine, kurze Ausprägungen von Nase und Kinn stark attraktivitätserhöhend. Nur sehr wenige (9,5%) Versuchspersonen fanden in unserem Kindchenschema-Experiment die reifen "Original-Frauen" am attraktivsten. Die meisten bevorzugten Frauengesichter, denen ein Kindchenanteil von 10 - 50% beigemischt war. Dies bedeutet: Selbst die attraktivsten Frauen werden noch schöner, wenn wir ihre Gesichtsproportionen kindlicher machen. Interessant dabei ist wiederum, dass die Frauen, die bei diesem Experiment am attraktivsten beurteilt wurden, in der Realität nicht existieren.

Durch die Berechnung von Prototypen für ein sehr unattraktives und ein sehr attraktives Gesicht je Geschlecht erhielten wir Gesichter, die sich durch charakteristische Merkmale voneinander unterschieden. Eine Befragung von Versuchspersonen ergab, dass attraktive Frauen eine braunere Haut, ein schmaleres Gesicht sowie vollere und gepflegtere Lippen besitzen. Sie haben zudem einen weiteren Augenabstand, dünnere Augenlider, mehr, längere und dunklere Wimpern, dunklere und schmalere Augenbrauen, höhere Wangenknochen und eine schmalere Nase. Für attraktive Männer gilt erstaunlicherweise zum großen Teil das gleiche wie für attraktive Frauen: Auch sie haben eine braunere Haut, ein schmaleres Gesicht, vollere Lippen, dünnere Augenlider, mehr und dunklere Wimpern, dunklere Augenbrauen und höhere Wangenknochen. Zudem unterscheiden sie sich durch einen markanteren Unterkiefer und ein markanteres Kinn von den unattraktiven Männern.

Schließlich ergaben die Ergebnisse der Untersuchung zur sozialen Wahrnehmung von Gesichtern, dass es ein ausgeprägtes Attraktivitätsstereotyp gibt: Je attraktiver die präsentierten Gesichter waren, desto erfolgreicher, zufriedener, sympathischer, intelligenter, geselliger, aufregender, kreativer und fleißiger wurden die Personen eingeschätzt. Dies zeigt, welche weitreichenden sozialen Folgen Attraktivität nach sich ziehen kann. Zusätzlich erstellten wir auf der Grundlage dieser Ergebnisse mit Hilfe einer speziellen Software dreidimensionale, animierte Kopfmodelle, die von Versuchspersonen hinsichtlich dieser Charaktereigenschaften als extrem eingeschätzt werden.

In unserer Untersuchung stellte sich heraus, dass die als am attraktivsten beurteilten Gesichter keine echten Gesichter waren, sondern von uns am Computer erzeugte. Diese virtuellen Gesichter zeichnen sich durch Merkmale aus, die für uns normale Menschen völlig unerreichbar sind. Indem uns aber die Medien solche perfekten Gesichter täglich vor Augen führen - man denke nur an die bis ins letzte Detail computertechnisch nachbearbeiteten Gesichter für Kosmetikwerbung, besteht die Gefahr, dass wir selbst zu Opfern unseres eigenen, völlig unrealistischen Schönheitsideals werden.

 

Eine Zusammenfassung der 400seitigen Habilitationsschrift von Gründl (2013) zur Attraktivität von Gesichtern finden Sie unter:

http://epub.uni-regensburg.de/27663/

Direkter kostenloser Download der gesamten Habilitationsschrift (pdf):

Gründl, M. (2013). Determinanten physischer Attraktivität – der Einfluss von Durchschnittlichkeit, Symmetrie und sexuellem Dimorphismus auf die Attraktivität von Gesichtern. Habilitation, Universität Regensburg. urn:nbn:de:bvb:355-epub-276639