Für die Untersuchung fotografierten wir 64 Frauengesichter und 32 Männergesichter (im Alter zwischen 17 und 29 Jahren; davon acht Models). Bei den Fotos achteten wir sehr auf eine starke Standardisierung, d. h. alle Personen wurden in einem einheitlichen, weißen T-Shirt, ohne Brille und Schmuck, mit nach hinten gebundenen Haaren, neutralem Gesichtsausdruck und exakt frontal abgelichtet. In einer Voruntersuchung wurden die Gesichter von Versuchspersonen bezüglich ihrer Attraktivität auf einer Skala von 1 (= sehr unattraktiv) bis 7 (= sehr attraktiv) beurteilt und für jedes Gesicht die durchschnittliche Attraktivitätsbewertung berechnet. Anschließend wurden die Gesichter basierend auf diesen Bewertungen für das weitere Vorgehen in eine Rangreihenfolge gebracht.

Wir berechneten danach systematisch mit Hilfe eines Computerprogramms (Morpher 3.0) neue Gesichter, in denen unterschiedlich viele Originalgesichter zu immer gleichen Anteilen enthalten sind. Dabei wurden stets ähnlich attraktive Gesichter miteinander gemorpht, d. h. gekreuzt (zum genauen Vorgehen siehe Bericht!).

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Bei diesem Verfahren wird aus zwei Gesichtern ein neues erzeugt, indem in jedem Gesicht korrespondierende Referenzpunkte gesetzt werden (z. B. linker Mundwinkel bei Gesicht A und linker Mundwinkel bei Gesicht B). Zusätzlich werden Referenzpunkte durch Referenzlinien verbunden, die bestimmte Konturen oder Flächen definieren (z. B. Konturen des Mundes; vgl. Abbildung links). Beim Berechnen des neuen Gesichts werden die Koordinatenwerte der Referenzpunkte und die Farbwerte der Bildpunkte gemittelt.

Für die Berechnung eines neuen Gesichts setzten wir über 500 Referenzpunkte (d. h. 250 in jedem der beiden "Ausgangsgesichter"). Durch dieses äußerst aufwendige Vorgehen (für die ganze Arbeit wurden insgesamt über 75.000 Referenzpunkte gesetzt!) konnten Durchschnittsgesichter erzeugt werden, die "echten" Gesichtern täuschend ähnlich sehen, und in ihrer Qualität alle anderen Durchschnittsgesichter übertreffen, die für bisherige Attraktivitätsexperimente verwendet wurden. Daher sind unsere Ergebnisse wesentlich aussagekräftiger als die früherer Untersuchungen, da nur ein Vergleich von sehr realistisch aussehenden Computergesichtern mit Originalgesichtern überhaupt Sinn macht.

Links ein Durchschnittsgesicht, das durch die sog. "Überlagerungstechnik" aus 16 Frauengesichtern am Computer entstand und für frühere Attraktivitätsexperimente verwendet wurde (aus Grammer (1995), Signale der Liebe, dtv). Es entstand 1990 und entspricht dem damaligen Stand der Technik. Heutzutage ist es Dank größerer Rechenleistung und verbesserter Software möglich, Experimente mit realistischeren Durchschnittsgesichtern zu machen, wie mit dem rechts abgebildeten Gesicht, das ebenfalls aus 16 Gesichtern durch "Morphing" berechnet wurde.

Die neu berechneten Gesichter wurden anschließend von Versuchspersonen auf ihre Attraktivität hin beurteilt. Dabei wurde dieselbe Skala benutzt wie bei den Originalgesichtern. Dadurch konnten Originalgesichter mit gemorphten Gesichtern bezüglich ihrer Attraktivität verglichen werden.

Insbesondere ging es um die Frage: Sind durchschnittliche Gesichter, d. h. Gesichter, die aus vielen einzelnen Originalgesichtern berechnet sind, besonders attraktiv? Diese sog. "Durchschnittshypothese" (Langlois & Roggman) hat es zu großer Popularität gebracht und gehört inzwischen schon fast zum Common Sense. Die Untersuchungen, die zu dieser Annahme geführt haben, beruhen jedoch auf Experimenten Anfang der 90er Jahre mit wenig realistischen Durchschnittsbildern, die deswegen wenig aussagekräftig sind.

Zu den Ergebnissen unseres Experiments siehe Durchschnittsgesichter!

Zu den Besonderheiten der Morphing-Technik und möglichen Bildverarbeitungsartefakten siehe die Habilitationsschrift von Gründl (2013), S. 75-81.